Wenn das Wasser kommt: Wie richtiges Verhalten bei Überschwemmungen Leben rettet
In Zeiten zunehmender Extremwetterereignisse rückt das Thema Hochwasserschutz immer stärker in den Fokus der Bevölkerung. Während Deutschland und Österreich in der Vergangenheit bereits verheerende Überschwemmungen erlebten – wie das Hochwasser 2021 im Ahrtal mit über 180 Todesopfern – zeigen Experten auf, dass fundiertes Wissen über korrektes Verhalten in Notsituationen entscheidend für das Überleben sein kann.
Die unterschätzte Gefahr
Überschwemmungen zählen weltweit zu den häufigsten Naturkatastrophen. Sie entstehen durch verschiedene Ursachen: anhaltende Regenfälle, Schneeschmelze, Sturmfluten oder – besonders verheerend – durch Tsunamis nach Seebeben. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) weist darauf hin, dass gerade in dicht besiedelten Gebieten die Gefährdung durch Starkregen und daraus resultierende Sturzfluten zunimmt.
Historische Ereignisse verdeutlichen das Ausmaß möglicher Katastrophen. Das schwerwiegendste Hochwasser der jüngeren Geschichte ereignete sich am 26. August 1931 in China, als vier Millionen Menschen ums Leben kamen und 40 Millionen obdachlos wurden. 330.000 Hektar Land standen unter Wasser, Hunger und Krankheiten rafften weitere 3,7 Millionen Menschen dahin.
Frühwarnung nutzen – jede Sekunde zählt
Die moderne Wissenschaft ermöglicht heute eine deutlich bessere Vorhersage von Überschwemmungen durch meteorologische Faktoren. Hydrologische Zentren und Katastrophenschutzbehörden können die Bevölkerung rechtzeitig warnen. In Österreich steht hierfür das AT-Alert-System zur Verfügung, während in Deutschland das Cell Broadcast-System sowie Apps wie NINA (Notfall-Informations- und Nachrichten-App) zum Einsatz kommen.
Entscheidend ist jedoch die Reaktion der Bevölkerung auf diese Warnungen. Panik ist dabei der größte Feind. Wer einen kühlen Kopf bewahrt, kann in kritischen Momenten sein Leben und das seiner Mitmenschen retten. Experten empfehlen, bereits im Vorfeld mit Familie und Nachbarn Sammelpunkte zu vereinbaren und Evakuierungsrouten zu planen.
Vorbereitung ist der Schlüssel
Eine durchdachte Notfallvorsorge kann im Ernstfall lebensrettend sein. Das BBK empfiehlt in seinem aktuellen Ratgeber für Notfallvorsorge, stets einen Vorrat an Lebensmitteln und Trinkwasser für mindestens drei Tage bereitzuhalten. Ebenso wichtig sind wasserdicht verpackte Dokumente, Medikamente und eine funktionierende Taschenlampe mit Batterien.
Für gefährdete Regionen gilt: Wertvolle Gegenstände sollten vorsorglich in oberen Stockwerken oder auf dem Dachboden gelagert werden. Vor dem Eintreffen der Flut müssen Gas, Strom und Wasser abgestellt werden, um Folgeschäden durch Brände oder Kurzschlüsse zu vermeiden.
Eine besondere Bedeutung kommt der persönlichen Schutzausrüstung zu. In Hochwassergebieten kann beispielsweise eine entsprechende Sicherheitsausrüstung den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Für den Fall, dass man in Wassermassen gerät, können schwimmfähige Gegenstände wie aufblasbare Kissen, Rettungsweste mit Aufprallschutz oder – im Notfall – mit Luft gefüllte Plastikflaschen in der Kleidung als improvisierte Auftriebshilfen dienen. Fachleute raten allerdings dazu, für Notfallsituationen geeignete Ausrüstung griffbereit zu haben, die auch in einem gut ausgestatteten Notfallrucksack untergebracht werden kann.
Wenn die Flut da ist: Richtig handeln
Wird man von einer Überschwemmung überrascht, gelten klare Verhaltensregeln. Wer sich in einem Gebäude befindet, sollte sich unverzüglich in die oberen Stockwerke begeben und dort bleiben, bis Rettungskräfte eintreffen. Keinesfalls darf der Lift benutzt werden – er kann zur tödlichen Falle werden.
Auf dem Dach oder an gut sichtbaren Stellen sollten Notzeichen gegeben werden: tagsüber mit hellen Tüchern, nachts mit Taschenlampen oder Handys. Wichtig ist, die Rettungskräfte über die eigene Position zu informieren, sobald man in Sicherheit ist, damit keine unnötigen Suchaktionen gestartet werden.
Wer im Freien von der Flut erfasst wird, muss schnellstmöglich erhöhtes Gelände aufsuchen. Der österreichische Zivilschutzverband warnt eindringlich davor, durch fließendes Wasser zu waten – bereits eine Wassertiefe von 15 Zentimetern kann bei starker Strömung ausreichen, um einen Erwachsenen von den Füßen zu reißen.
Wird man von der Strömung erfasst, raten Experten, sich auf den Rücken zu legen, die Füße in Fließrichtung zu strecken und nach festem Halt zu suchen. Besonders gefährlich: Elektrische Leitungen im Wasser können unter Spannung stehen. Hier besteht akute Lebensgefahr durch Stromschläge.
Die besondere Bedrohung durch Tsunamis
Tsunamis stellen eine noch größere Gefahr dar. Diese gewaltigen Flutwellen, ausgelöst durch Seebeben oder Vulkanausbrüche, können mit Geschwindigkeiten von bis zu 800 Kilometern pro Stunde über das Meer rasen und bis zu vier Kilometer ins Landesinnere vordringen.
Eindeutige Warnzeichen kündigen einen Tsunami an: Wenn sich das Meer plötzlich weit zurückzieht und den Meeresboden freilegt, bleiben oft nur wenige Minuten zur Flucht. Auch das ungewöhnliche Verhalten von Tieren – sie werden unruhig, versammeln sich in Gruppen oder suchen Unterschlupf – kann ein Indikator sein.
In Küstenregionen gilt bei Tsunami-Warnung absolute Priorität für die Flucht ins Landesinnere oder auf Anhöhen. Dabei zählt jede Sekunde. Menschenleben haben absoluten Vorrang vor materiellem Besitz. Besonders gefährdet sind Kinder, ältere und kranke Menschen – sie benötigen bei der Evakuierung besondere Unterstützung.
Wer es nicht rechtzeitig ins Landesinnere schafft, sollte in stabilen, mehrstöckigen Gebäuden Zuflucht in den obersten Etagen suchen. Als letzte Option können auch hohe Bäume Schutz bieten, wobei hier die Gefahr durch mitgerissene Trümmer besteht.
Nach der Flut: Vorsicht ist geboten
Auch nach dem Rückgang des Wassers lauern Gefahren. Gebäude können strukturelle Schäden aufweisen, Gas- und Stromleitungen beschädigt sein. Vor dem Betreten von überfluteten Räumen sollten diese gründlich geprüft werden – im Idealfall durch Fachpersonal.
Das BBK empfiehlt, vor der Wiederinbetriebnahme von Elektrogeräten und Heizungen diese von Fachleuten überprüfen zu lassen. Verschmutztes Trinkwasser stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar und sollte vor dem Konsum abgekocht oder desinfiziert werden.
Der Wiederaufbau nach einer Katastrophe gelingt am besten gemeinschaftlich. Nachbarschaftshilfe und Solidarität haben sich in der Vergangenheit immer wieder als entscheidende Faktoren für eine schnelle Erholung erwiesen. Die Erfahrungen aus dem Ahrtal 2021 zeigten eindrucksvoll, wie wichtig der Zusammenhalt in der Gemeinschaft ist.
Gemeinschaft als Überlebensstrategie
Ein zentraler Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion oft zu kurz kommt, ist die Bedeutung sozialer Bindungen in Krisensituationen. Katastrophenforscher weisen darauf hin, dass bei historischen Hochwasserkatastrophen häufig nicht die Naturgewalt selbst, sondern mangelnde Kooperation und fehlende gegenseitige Hilfe zu hohen Opferzahlen führten.
Das verheerende Erdbeben auf Haiti 2010, bei dem über 222.000 Menschen starben, verdeutlicht dies auf tragische Weise. Viele Opfer waren nicht direkt durch das Beben zu beklagen, sondern durch nachfolgende Auseinandersetzungen um Ressourcen und fehlende gegenseitige Unterstützung.
Fazit: Wissen schafft Sicherheit
In einer Zeit zunehmender Wetterextreme wird die persönliche Notfallvorsorge immer wichtiger. Wer die Warnsignale kennt, rechtzeitig handelt und dabei einen kühlen Kopf bewahrt, erhöht seine Überlebenschancen erheblich. Entscheidend ist jedoch nicht nur das individuelle Wissen, sondern auch die Bereitschaft, anderen Menschen in Not beizustehen.
Die Empfehlungen von Behörden wie dem BBK und dem österreichischen Zivilschutzverband sind eindeutig: Bereiten Sie sich vor, bleiben Sie informiert und handeln Sie solidarisch. Denn am Ende ist es die Menschlichkeit, die in Katastrophen den Unterschied macht.
Quellen und weitere Informationen zu diesem Thema:
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) - Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen: bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Sicherheit-durch-Vorsorge/Materialien-Hochwasser/materialien-hochwasser.html
- Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) - Vorsorge und Handeln bei Hochwasser: bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Vorsorge/Mit-Naturgefahren-umgehen/Hochwasser/hochwasser_node.html
- Zivilschutzverband Österreich - Hochwasser Ratgeber und Verhaltensregeln: zivilschutz.at/thema/hochwasser/
- Portal Österreich - Verhalten bei Hochwasser: oesterreich.gv.at/de/themen/notfaelle_unfaelle_und_kriminalitaet/katastrophenfaelle/1/Seite.29500323
- Portal Österreich - Selbstschutz im Katastrophenfall: oesterreich.gv.at/de/themen/notfaelle_unfaelle_und_kriminalitaet/katastrophenfaelle/1
- Österreichisches Bundesministerium für Inneres - Staatliches Krisen- und Katastrophenschutzmanagement (SKKM): bmi.gv.at/magazin/2024_11_12/05_SKKM.aspx
- Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge (DKKV) - Governance und Kommunikation im Krisenfall des Hochwasserereignisses im Juli 2021, DKKV-Schriftenreihe Nr. 63 (2024): dkkv.org/wp-content/uploads/2024/01/HoWas2021_DKKV_Schriftenreihe_63.pdf
- NOAA National Centers for Environmental Information - Haiti Erdbeben 2010: ngdc.noaa.gov/hazel/view/hazards/earthquake/event-more-info/8732
- Center for Disaster Philanthropy - Earthquake in Haiti 2010: disasterphilanthropy.org/disasters/earthquake-in-haiti/
- Britannica - Yangtze River floods 1931: britannica.com/science/Yangtze-River-floods
- DisasterHistory.org - Central China flood 1931: disasterhistory.org/central-china-flood-1931